Ein Jahr nach der Rückkehr – Ein Blick zurück.


Heute (16.01.2011) ist es nun ein Jahr her, dass wir auf dem Prinzipalmarkt in Münster von unseren Verwandten und Freunden bei der Rückkehr von der Radreise empfangen worden sind. Und auch ein Jahr nach der Wiederankunft stellen wir fest: Zu Ende ist die Radreise noch nicht. Zwar haben wir die Radreise nicht mehr so präsent vor Augen, wie unmittelbar nach unserer Rückkehr. Denn längst haben wir unseren Alltag wieder gefunden. Klaus arbeitet als stellvertretender Gruppenleiter in einer Wohngruppe für Jugendliche und Jörn hat wie geplant sein Studium beendet. Aber auch, wenn wir zurück im Alltag sind, ist ein teilweise schon fast unruhiges Gefühl vorhanden, das die Radreise noch nicht zu Ende ist. Sie scheint nicht abgeschlossen zu sein. Irgendetwas fehlt noch…

Verblassen die Erinnerungen?

Und was genau fehlt, ist gar nicht so einfach festzustellen. Vielleicht ist es ein kritischer Rückblick auf die Radreise, ein Wiedersehen mit den neuen Freunden von unterwegs, eine akkurate Aufbereitung der ca. 8.000 von uns gemachten Fotos oder das Abschreiben der Tagebuchkrizeleien, um die Erlebnisse auch noch in 10 Jahren nachlesen zu können. Dabei fällt auf, dass diese Dinge im Kern alle dasselbe Ziel haben: Es ist der Versuch, die Erlebnisse der Radreise zu bewahren, damit sie im Alltag nicht allzu schnell verblassen. Und wahrscheinlich ist es genau dass, was für uns die Radreise noch nicht zum Abschluss gebracht hat und daher auch niemals zum Abschluss gebracht werden kann. An diesem Versuch können wir nur scheitern. Dies hat sich auch schon darin gezeigt, dass wir beispielsweise den Jahrestag der Ankunft in Wladiwostok total vergessen hatten und von Eva, Jörns Freundin, daran erinnert werden mussten. Dennoch haben wir uns bisher bemüht, die Radreise für uns zu bewahren. Wir haben einen Großteil der Fotos sortiert, haben weiterhin regelmäßigen Kontakt zu einigen unseren neuen Freunden, wie Muratbek aus Kirgisien oder konnten sogar einige, wie Olga aus Russland oder Si Lei aus China, wiedersehen. Trotzdem bleibt beim Nachdenken ein unruhiges Gefühl. Denn eigentlich müsste man ja noch dies und könnte man ja noch das machen…

Wiedereinstieg leicht gemacht!

Dabei sah es zuerst überhaupt nicht danach aus, als könnten solche Überlegungen aufkommen, da das Wiedereinleben zuhause absolut problemlos verlief. So hat Klaus drei Tage nach der Wiederankunft eine Wohnung gefunden und ist mit seiner Freundin zusammen gezogen. Und Jörn ist nach 3 Wochen bei seinen Eltern zu seiner Freundin nach Berlin gegangen und hat mit dem Schreiben seiner Abschlussarbeit begonnen. Diese unproblematische Anschlussfähigkeit ist wohl in mehreren Dingen begründet. Es war sehr sinnvoll die Rückreise von Wladiwostok nach Münster über einen Zeitraum von 50 Tagen zu strecken, um so die Veränderungen langsam auch sich zukommen zu lassen. Zudem sind wir in alte, und damit bekannte Strukturen zurück gekehrt, in denen wir uns auch vor dem Start der Radreise sehr wohl gefühlt haben. Dahin geht jeder gerne zurück. Und da wir nur 295 Tage unterwegs waren, hatte sich zuhause auch nicht viel verändert. Darüber hinaus sollte die „Problematik des Wiedereinlebens“ auch grundsätzlich nicht überbewertet werden. Aber dennoch gab es kleine Gewohnheiten der Radreise, die es nach der Wiederankunft abzulegen galt. War es bei der Radreise üblich, Socken auch mal länger als einen Tag zu tragen, rettete sich diese Lässigkeit anfänglich rüber in die Zeit nach der Radreise.  Jeder von uns erwischte sich dann irgendwann im Laufe der Woche bei dem Gedanken: Oh Mist, die Socken hab ich seit mindestens drei Tagen an. Mittlerweile wechseln wir aber wieder täglich…

Schön, dass ihr an uns gedacht habt!

Ganz spannend und ergreifend war es für uns während der Reise und nach der Wiederankunft davon zu erfahren, wie viele Leute unsere Reise aktiv verfolgt haben oder täglich an uns dachten. So erzählte Sr. Hermine, Clemensschwester aus Münster, der Mutter von Jörn bei der Rückkehr auf dem Prinzipalmarkt, dass sie jeden Abend, wenn sie im Bett lag an uns denken musste, wo wir uns denn wohl gerade „zur Ruhe legen würden“ und schloss uns in ihr Gebet mit ein. Oder das Interesse von Herrn Horn, der in einer Seniorenresidenz in Bad Rothenfelde lebt, und mehrmals monatlich die blog Einträge von uns den anderen Bewohnern vorgelesen hat. Besorgt hatte er sich die Berichte von Jörns Mutter, die in ihrer Änderungsschneiderei einen Ordner mit den Blog – Einträgen angelegt hatte. Diesen konnte sich die Kundschaft auch „über Nacht“ ausleihen. Sehr gefreut haben wir uns auch darüber, dass verschiedene unserer Freunde und Bekannten von unsere Radreise animiert worden sind, wieder selber Rad zu fahren oder es wieder öfter zu benutzen, wie wir im Gästebuch lesen konnten: „Hallo ihr beiden, mein Mann und ich haben uns – von euch animiert – am Sonntag Mountainbikes gekauft. Die haben wir dann auch schon mal ausprobiert. Radfahren ist klasse! Habe ich seit etwa 15 Jahren nicht mehr gemacht. Weiterhin gute Fahrt! Julia“. Viel an uns gedacht haben auch diejenigen, die sich an der Postkartenaktion beteiligt haben. Insgesamt haben 63 Personen oder Gruppen die Radreise und ihre Idee durch die Postkartenaktion unterstützt: Danke! Und auch nach der Radreise werden wir verschiedentlich von Radreisenden kontaktiert, die über unsere Homepage auf uns aufmerksam geworden sind und im Vorfeld ihrer eigenen Reise verschiedene Fragen an uns haben. So auch Andrej, der aus Belm bei Osnabrück gestartet ist, um bis nach Omsk in Russland zu fahren – und das mit über 65 Jahren…

Die Radreise und die Aktion Kleiner Prinz.

Neben diesen positiven Rückmeldungen zur Radreise hoffen wir auch, mit dem Interesse an der Radreise den Bekanntheitsgrad von der Aktion kleiner Prinz aus Warendorf gesteigert zu haben. Denn das war, geknüpft an das geplante Wiedersehen mit Ammanu, ein erklärtes Ziel der Radreise. Es ist sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, den Effekt unserer Bemühungen zweifelsfrei darzustellen. Dennoch glauben wir, mit den ca. 70 Berichten in Tageszeitungen und Radiosendungen über unsere Radreise, in die die Aktion Kleiner Prinz mit eingebunden worden ist sowie unserer Homepage, die von knapp 10.000 unterschiedlichen Usern besucht wurde, dieses Ziel im Rahmen unserer Möglichkeiten ganz gut erreicht zu haben. Nebenbei, denn um die Akquise von Spendengeldern haben wir uns nicht direkt bemüht, konnten wir zudem einen vierstelligen Geldbetrag zur Unterstützung der Aktion Kleiner Prinz zusammentragen.

Gab es einen Nutzen für die Aktion Kleiner Prinz?

Trotz dieser im Nachhinein feststellbaren positiven Nachrichten ist die grundsätzliche Verknüpfung der Radreise mit einem „guten Zweck“ auch oftmals kritisch beäugt worden. Mehrfach wurde an uns herangetragen, dass wir die Zusammenarbeit mit der Aktion Kleiner Prinz primär dafür nutzen, unsere Radreise inhaltlich aufwerten zu wollen, um sie beispielsweise für die Medien oder etwaige Sponsoren attraktiver zu gestalten. Und es stimmt. Die Verknüpfung der Radreise mit dem Wiedersehen mit Ammanu hat das Interesse der Medien und Sponsoren sicherlich gesteigert. In welchem Umfang lässt sich jedoch auch hier nicht zweifelsfrei bestimmen. Denn nach wie vor war es für uns sehr aufwendig überhaupt Sponsoren für die Radreise zu gewinnen. Die Sponsoren haben uns mit ihren Produkten aus ihrer eigenen Produktion, teilweise mit 2. Wahl Produkten, unterstützt. Geldleistungen sind nicht geflossen. Stellt man den von uns betriebenen zeitlichen und finanziellen Aufwand zur Akquise der Sponsoren, wie die Erstellung von Informationsmaterialien oder die teilweise sehr zeitaufwendige Kontaktaufnahme, dem Geldwert der erhaltenen Sachleistungen gegenüber, war die Sponsorensuche nicht lohnenswert. Hätten wir alleine die investierte Zeit in einer Fabrik am Fließband gearbeitet, hätten wir mehr Geld erarbeitet, als wir an Sponsorenleistungen erhalten haben. Trotzdem würden wir es wieder so machen, denn es ist viel interessanter sich um Sponsoren zu bemühen und mit den Herstellern in Kontakt zu treten, als die Produkte einfach nur zu kaufen. So war es schon ein tolles Gefühl, als die Firmen wie Rohloff oder Ortlieb bei uns anriefen und uns ihre Unterstützung zusagten…

Oder lag der Nutzen nur bei den Radreisenden?

Auch gegenüber den Medien ist es schwer nachzuvollziehen, inwieweit die Verknüpfung der Radreise mit der Aktion Kleiner Prinz zu einer vermehrten Berichterstattung geführt hat. Nach wie vor haben wir es anfänglich als recht kompliziert und aufwendig gefunden, die Zeitungen für unser Vorhaben zu gewinnen. Das über die Radreise dann doch relativ viel berichtet worden ist, liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir regelmäßig eigene Presseartikel und Pressemitteilungen geschrieben und über frei zugängliche Presseverteiler an die Redaktionen in unserer Heimat verschickt haben. So hat Klaus während der Reise insgesamt sechst Presseberichte und zwei Pressemitteilungen erstellt. Dabei kann der erste Presseartikel noch als Übungstext verstanden werden, wurde der Text doch von den Zeitungsredakteuren teilweise massiv umgestellt. Alle weiteren Artikel wurden jedoch oftmals ohne irgendwelche Änderungen übernommen und abgedruckt – inklusive kleiner Verschreiber…

Grundsätzliches als Fazit.

Zurück zur grundsätzlichen Verknüpfung der Radreise mit einem guten Zweck. Die letztendliche Bewertung sollte jeder für sich vornehmen und begründen. Wir für unseren Teil bewerten die Verknüpfung der Radreise mit der Aktion Kleiner Prinz positiv. Zum einen haben wir uns die Aktion Kleiner Prinz nicht aus den verschiedenen Hilfsorganisationen herausgesucht. Vielmehr ist die Unterstützung von Ammanu durch die Aktion Kleiner Prinz im Jahr 2004, entstanden aus der Initiative von Klaus und im Hinblick auf das geplante Wiedersehen mit Ammanu, das Verbindungsstück zwischen der Radreise und der Hilfsorganisation. Zum anderen bewerten wir die Verknüpfung auch dahingehend positiv, als dass wir den Bekanntheitsgrad der Aktion Kleiner Prinz auch faktisch ausweiten konnten. Trotz dieses positiven Fazits sollte nicht vergessen werden, dass eine solche Verknüpfung grundsätzlich kritisch zu hinterfragen ist. Denn wäre uns während der Radreise ein Schaden entstanden, z.B. durch Raub oder Unfall, wäre dies auch negativ auf die Aktion Kleiner Prinz zurückgefallen. Diese hätte sich wahrscheinlich rechtfertigen müssen, warum sie eine solch, dann „als riskante einzustufende Reise“ unterstützt hat…

Einer der wichtigsten Aspekte der Reise: Die Reisephilosophie.

Viel diskutiert und nachgedacht haben wir schon während der Reise und auch noch nach unserer Rückkehr über eine der wichtigsten Aspekte der Radreise: Die Reisephilosophie. Letztendlich verbirgt sich dahinter nur die Idee und die Umsetzung, wie man durch die jeweiligen Länder reist, also mit welchem Ziel man unterwegs ist. Wir hatten uns vor dem Start der Radreise nie wirklich hingesetzt und darüber nachgedacht. Mit den Erfahrungen und Vorstellungen früherer kürzerer Radreisen sind wir einfach losgefahren. Mit dem Ergebnis, dass wir erst wieder lernen mussten, zu reisen, und unseren Rhythmus zu finden. War es anfänglich unser Ziel oder unsere Philosophie so schnell wir möglich voran zu kommen und unbedingt jeden Kilometer mit dem Rad fahren zu wollen, stellten wir fest, dass diese Philosophie unserer Reise nicht gerecht wurde. Denn umso schneller – auch auf dem Fahrrad – ein Land bereist wird, umso weniger Zeit bleibt, das Land kennen zu lernen und Zeit zu haben, sich mit dem Erlebten zu beschäftigen und beispielsweise ausgiebig Tagebuch zu schreiben. Es bleibt zu wenig Zeit, um an einem Ort länger zu verharren. Trotz der Freiheit wird man zu einem gehetzten, rastlosen Radfahrer, dem es schwer fällt den Augenblick zu genießen. Sei es, weil man von dem intensiven Radfahren zu müde ist oder weil eine innere Unruhe einen weitertreibt. Nach anfänglichen 150 km Tagesetappen pendelten sich die Tageskilometer im Verlauf der Reise im Durchschnitt bei ca. 95 km ein. Unter Berücksichtigung der Ruhe- und Aufenthaltstage reduziert sich der im Durchschnitt täglich gefahrenen Kilometer sogar auf ca. 45 km.

Jeder kann eine Radreise machen!

Angesicht solcher durchschnittlichen Tageskilometer als Ergebnis einer veränderten Reisephilosophie, relativiert sich auch die sportliche Herausforderung der Radreise. Denn um im Durchschnitt 45 km pro Tag zu radeln, muss man kein Extremsportler sein. Das Radfahren ist somit nicht die größte Herausforderung. Für jeden halbwegs Gesunden ist eine solche Radreise somit möglich. Das Gelingen ist eben nur sehr stark von der Reisephilosophie abhängig. Wer kontinuierlich 150 km pro Tag radeln möchte, der muss wahrlich ein Extremsportler sein – verpasst aber nach unserer Ansicht das eigentliche Ziel einer Radreise. Denn letztendlich ist das Rad nur das Transportmittel und somit ein Mittel zum Zweck…

Kopfkino beim Zelten?

Neben angemessenen Tageskilometern gehörte es auch zu unserer Reisephilosophie, nicht bis zur möglichen Belastungsgrenze, wie z.B. mehr als 15 Nächte hinter einander oder bei Temperaturen weit unter Null Grad, zu zelten, sondern die verschiedenen Übernachtungsmöglichkeiten zu mixen. Neben dem Zelten waren das bezahlte Übernachtungen in Pensionen oder Raststätten sowie kostenlose Übernachtungen als couchsurfer oder auf Einladungen von Fremden. Dies hatte u.a. den Vorteil, dass wir in den Unterkünften mal wieder unsere Kleidung durchwaschen konnten und über das couchsurfing engen Kontakt zu den Menschen im Land hatten. Auch war es für uns so, dass der Schlaf im Zelt oft nicht so tief und erholsam war, wie die in einem festen Gebäude. Es liegt wohl daran, dass der Körper bei der Übernachtung im Zelt aufgrund imaginärer Gefahren wesentlich wacher und sensibler für Umgebungsgeräusche ist. Oder anders ausgedrückt: Irgendwo in Russland, unweit einer kleinen Siedlung liegst du hinter einer Hecke im Zelt. Vereinzelt hörst du Hundegebell. Das einzige, was dich von der Außenwelt trennt ist die dünne Zeltplane. Vom Radfahren bist zu zwar kaputt, kannst aber irgendwie nicht einschlafen. Draußen raschelt es. Erst ganz leise, dann immer lauter werdend. Was könnte das sein? Du überlegst. Deine Gedanken kreisen. Das Kopfkino beginnt. Mit dem Einschlafen ist es dann erstmal vorbei…

Die Visa-Beschaffung. Die Hürde der Radreise.

Doch was waren für uns die großen Hürden der Radreise, wenn nicht das Radfahen an sich? Als sehr anstrengend, nervig und zeitraubend haben wir die Organisation der Visa empfunden. Und das obwohl wir hierbei mit einem Reisebüro zusammengearbeitet haben. Zum einen gelten für die unterschiedlichen Länder verschiedene Visa – Bestimmungen, und zum anderen ist es gerade bei einer Radreise nicht immer ganz so einfach, den genauen Zeitraum der Ein- und Ausreise für ein Land langfristig im Vorhinein festzulegen. Gerade dann, wenn nur ein 30 Tage und kein 90 Tage Visum ausgestellt werden kann. Um die ungefähren Daten der Grenzübertritte dennoch genauer bestimmen zu können, haben wir eine Excel – Planung erstellt, bei der sich unter Berücksichtigung verschiedener Annahmen das Ein- und Ausreisedatum für die jeweiligen Länder errechnet. Dennoch waren es letztendlich die Visa – Bestimmungen, die es für uns trotz aller Excel – Planungen erforderlich machten, China von Kashi bis Erduosi mit dem Zug bereisen zu müssen und nicht mit dem Fahrrad. Im Hinblick auf das zuvor beschriebene Gefühl, die Radreise sei noch nicht zu Ende, resultiert diese Gefühlslage interessanterweise nicht aus dem Wunsch heraus, das „noch fehlende Stück“ von Kashi bis Erduosi mit dem Rad nachholen zu müssen…

Und sonstige Hürden?

Neben der Organisation der Visa gab es darüber hinaus keine wesentlichen Hürden. Vielmehr waren es immer wieder temporär kleine Hürden, die wir nehmen mussten oder die die Radreise haben anstrengend erscheinen lassen. Zwar hatten wir glücklicherweise keine größeren Erkrankungen während der Reise. Trotzdem hat der Körper uns ab und zu doch mitgeteilt, dass er nicht alles mit sich machen lässt. Manchmal dachte man schon, dass man beim Ausziehen der Radlerhose die obersten vier Hautschichten des Sitzfleisches direkt mit abzieht. Zudem hatte jeder von uns immer mal wieder schwer begründbare körperliche Leiden. Auf einmal „zog die Schulter“ bei Jörn oder das Sprunggelenk von Klaus schwoll an.  Anstrengend war es auch manchmal in dichter besiedelten Gebieten einen geeigneten Zeltplatz zu finden. In Kasachstan war das natürlich kein Problem. Hier war es dann aber auch nicht immer ganz so einfach, genügend Gelegenheiten zu haben, Lebensmittel zu kaufen. Vielleicht nicht ganz  nachvollziehbar, aber dennoch anstrengend, konnte auch die uns entgegengebrachte Gastfreundschaft sein. Z.B., wenn es nicht möglich war, eine Einladung abzulehnen oder wenn wir genötigt worden sind, mehr als zehn Wodkas oder Reisschnäpse mittringen zu müssen. Auch im Hinblick auf die Gastfreundschaft ist die Sprachbarriere nicht zu unterschätzen. Es kann ganz schön anstrengend sein, sich immer mit „Händen, Füßen und einem Lächeln“ verständigen zu müssen -  für uns und für die Gastgeber. Sehr kompliziert war es aufgrund der hohen Sprachbarriere auch, sich in China zu orientieren oder mit den Menschen in Kontakt zu treten. Die Sprachhürde war für uns so hoch, dass wir es nicht mal richtig geschafft haben, Ortsnamen für die Chinesen verständlich auszusprechen. Durch China sind wir daher wie gefühlte Analphabeten gereist. Und natürlich war auch das ständige Zusammensein von uns beiden nicht immer ganz so einfach. So hat ein jeder an dem anderen, obwohl wir uns schon mehr als 10 Jahre kennen, während der Reise Facetten kennen gelernt, auf die man hätte gut verzichten können. Aber, was wir vor einem Jahr geschrieben haben stimmt auch heute noch: Gesund und als Freunde sind wir losgefahren und gesund und als Freunde sind wir auch wieder zuhause angekommen…

Reisevorträge und Reiseberichte.

Seit der Zeit unserer Rückkehr haben wir angefangen einen Reisevortrag zu erstellen. Erstmalig haben wir beim ADFC – Clubabend in Münster am 07.042010 unsere Bilder gezeigt. Mittlerweile haben wir ca. 20 Vorträge gehalten. Dabei hat es sich so ergeben, dass wir von interessierten Freunden, Vereinen und Schulen angefragt worden sind, über die Reise zu berichten. Thematisch haben wir bisher drei verschiedene Vorträge zusammengestellt: Zentralasien, China sowie Transsibirische Eisenbahn. Gerade für den Erdkundeunterricht in Schulen scheinen die Bilder unserer Reise eine interessante Abwechslung und Bereicherung zu sein, wenn wir beispielsweise Fotos aus dem ausgetrockneten Hafenbecken der ehemaligen Hafenstadt Aral aus Kasachstan zeigen und einige Ursachen der Umweltkatastrophe am Aralsee umreißen. Wir freuen uns über weitere Vortragsanfragen: 0176 2400 3891 oder info@ammanu.de .

ZDF: Zahlen – Daten – Fakten

Oftmals interessieren bei den Vorträgen die konkreten Zahlen der Radreise „Was kostet denn so eine Radreise?“, „Wie viel Kilometer seid ihre denn so am Tag gefahren?“ oder „Wie oft habt ihr gezeltet“. Nachdem wir bereits kurz nach unserer Rückkehr eine Reisestatistik erstellt haben, können wir einige dieser Frage relativ gut beantworten. Die gesamte Reisestatistik kann zudem von der Homepage runtergeladen werden.

Reisestatistik I

So haben wir für unsere 295 Tage dauernde Reise während der Reise pro Tag und Nase ca. 22 Euro ausgegeben. Das sind insgesamt etwas mehr als 6400 Euro. Darin enthalten ist auch unsere 3 wöchige Chinarundreise währenddessen wir die Fahrräder haben stehenlassen und die alleine schon 1400 Euro kostete. Ebenso sind darin die Zugkosten für alle Zugstrecken während der Reise enthalten. Also die Visa-Beschaffungsreise von Peking nach Hong Kong und zurück sowie die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn. Ebenso sind auch die Hotelkosten, wenn wir uns in Städten aufgehalten haben, bereits in diesem Betrag berücksichtigt.

Darin nicht enthalten sind alle Kosten, die wir für die Planung und Organisation sowie für unsere Ausrüstung aufbringen mussten. Diese Kosten zählen wir zu unseren Ausgaben vor Reisebeginn. Hierzu zählen beispielsweise Krankenversicherung und Visa-Gebühren ebenso wie ein neuer Schlafsack, unser Zelt oder die Kosten für unsere Fahrräder. Dieser gesamte Teil beträgt insgesamt etwas mehr als 4900 Euro. Insgesamt hat die Radreise pro Nase somit knapp 11.500 Euro gekostet. Rechnet man diesen Gesamtbetrag, also die Kosten während der Reise und die Kosten vor Beginn der Reise, auf die Dauer der Reise runter, ergibt sich ein Betrag von ca. 37 Euro pro Tag und Nase. Hochgerechnet auf einen Monat sind das ungefähr 1100 Euro pro Nase…

Reisestatistik II

Insgesamt haben wir 13.355 km mit dem Fahrrad zurück gelegt. Dabei war die kürzeste Tagesetappe 16 km und die längste 217 km lang. Im Durchschnitt sind wir pro Radeltag, wie bereits erwähnt, 97 km gefahren. Unter Berücksichtigung aller 295 Reisetage haben wir täglich im Durchschnitt 45 km zurückgelegt. Dabei war unsere Durchschnittsgeschwindigkeit während der gesamten Strecke bei 18,2 km/h. Am schnellsten sind wir mit durchschnittlich 20,8 km/h durch Russland gefahren. Am langsamsten waren wir mit durchschnittlich 12,1 km/h in Kirgisien. Insgesamt haben wir während der Reise 751 Stunden im Sattel gesessen, das sind umgerechnet fast 31 ganze Tage.

Im Zelt haben wir 66 Nächte verbracht. Bei Freunden oder couchsurfern haben 74 Nächte geschlafen. In bezahlten Unterkünften waren wir in 144 Nächten. Der höchste Punkt der Radreise befand sich mit 3.600 m in  Krigisien. Der niedrigste mit einigen Metern unter N.N. in Kasachstan, nördlich vom Kaspischen Meer. In Kasachstan hatten wir auch die höchste Temperatur mit ca. 42 Grad Celsius. Die niedrigste Temperatur, bei der wir noch Fahrrad gefahren sind, haben wir in Russland mit – 15 Grad Celsius gemessen. Nahezu endlos könnten wir weitere Zahlen nennen…

Und was bleibt zurück?

Doch was bleibt neben diesen ganzen Zahlen, Bildern und Erfahrungen sonst noch zurück? Gar nicht so einfach, dass für einen selbst auf den Punkt zu bringen. Denn es ist ja beispielsweise nicht so, dass wir für jeden erkennbar unsere Grundcharaktere verändert hätten oder wir während der Reise ein absolutes Aha-Erlebnis gehabt haben, was uns zu einem neuen Bewusstsein geführt hat. So spektakulär ist eine Radreise auch nicht. Es ist vielmehr so, dass uns in dem Jahr nach unserer Rückkehr verschiedenes aufgefallen ist:

Situationen der Reise.

So haben wir in der Zeit nach der Radreise erfahren, wie intensiv die Radreise für uns gewesen sein muss. Zwar vergessen wir schon mal den Jahrestag unserer Ankunft in Wladiwostok. Doch ganz erstaunlich ist es, wie detailliert wir uns an einzelne Tage der Radreise, ja sogar an einzelne Situationen während der Radreise erinnern können, sobald wir auch nur den kleinsten Hinweis dazu bekommen. Dies kann ebenso wie das Lesen von zwei Sätzen aus dem Tagebuch oder aus einem Blog-Bericht, ein kurzer Blick auf eines der ca. 8000 Fotos von der Radreise, die wir alle direkt zu ordnen können oder auch nur ein paar Informationen zu einer Begebenheit sein, die wir uns am Telefon erzählen. Sofort ist einem die Situation vollständig bewusst. Es bleibt spannend, wie lange wir dieses Phänomen noch feststellen können…

Gepäck zu haben ist kein Ziel!

Darüber hinaus haben wir für uns festgestellt, bzw. hat die Radreise für uns nochmal bestätigt, welche Bedeutung wir materiellen Dingen beimessen. Es geht dabei nicht darum, die Anzahl an T-Shirts im Kleiderschrank zu hinterfragen, auch, wenn die Reise zeigt, mit wie wenig es möglich ist, auszukommen. Es geht vielmehr darum, zu hinterfragen und zu erkennen, was die persönlichen Ziele sind. Für uns ist eben das Anhäufen von materiellen Dingen kein primäres Ziel. Wie im wirklichen Leben belastet ein Überfluss an Materiellen einen auch während der Radreise. Auf der Radreise sind die Radtaschen einfach zu voll, und es nervt, Dinge zu transportieren, nur, um sie vielleicht ein paar Mal nutzen zu können. Oder sie nur zu nutzen, weil man sie jetzt schon bis Kasachstan geschleppt hat. Dabei stellt der, der sein Gepäck reduziert, verschiedenes fest: Das Radfahren geht viel leichter, das Gepäck zieht einen am Berg nicht nach unten. Gleichzeitig treten Verschleißerscheinungen, wie beispielsweise Speichenbrüche, wesentlich seltener oder gar nicht auf, und vor allem hat man weniger Mühen sein Gepäck zusammenzuhalten. Das ist eine der größten Erleichterungen überhaupt. Gleichzeitig wird einem auch bewusst, dass das Gepäck nur ein Mittel ist, um sein eigentliches Ziel zu erreichen. Und auf dem Weg zum Ziel ist zu viel Gepäck einfach nur belastend…

Die Länder im Rückblick.

Zudem fiel uns in der Nachbereitung auf, dass sich in nahezu allen Ländern, die wir bereist haben, im letzten Jahr Naturkatastrophen oder politische Unruhen ereigneten, Menschenrechte verletzt wurden oder sonstiges passierte, was in das kollektive Bewusstsein der Menschen vordrang. So brachen im Juni in Kirgisien heftige Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken aus. Mehrere hundert Menschen starben, mehrere Tausend flohen ins benachbarte Usbekistan. Krisenherd war die Stadt Osh, die Stadt, die wir auf unserer Reise durchquert hatten. In Russland wüteten im August verheerende Waldbrände, die ganze Landstriche verwüsteten und wovon auch Rjasan, die Partnerstadt Münsters betroffen war. Oder in China. Dort wurde der jetzige Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo u.a. aufgrund seiner Forderungen für freie Wahlen bereits im Jahr 2009 zu einer 11 – jährigen Haftstrafe verurteilt. Im Nachgang unserer Reise, werden solche Ereignisse von uns wesentlich bewusster aufgenommen. Wir verbinden die Ereignisse mit betroffenen Personen. Rjasan mit Olga. Osh mit Muratbek oder China mit Yuanyuan. Und gleichzeitig erkennen wir, mit welchen „Problemchen“ wir uns hier in Deutschland herumschlagen…

Das wichtigste zum Schluss!

Aber um all diese Erfahrungen, Erkenntnisse und Erlebnisse machen zu können, ist die wichtigste Erkenntnis von allem gleichzeitig auch die größte Herausforderung am ganzen: Das wichtigste ist, für den, der den Wunsch hat, eine solche Reise zu machen, überhaupt loszufahren. Egal wie lange, egal wie weit, egal mit wem, egal in welchem Alter und egal wohin. Fast alles andere ergibt sich unterwegs. Hauptsache man fährt los. Das ist die größte Herausforderung überhaupt…

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Artikel vom 16. Januar 2011 | Joern | Nachricht an Joern schreiben