Moskau – Münster. Die letzte Etappe.


Die letzte Etappe der Radreise hat begonnen: Moskau – Münster. Und obwohl die bisherigen Erlebnisse dieserIMG_5056 Etappe von Moskau bis Berlin, wie der Besuch der münsterschen Partnerstadt Rjasan (RUS) oder die Tage des Weihnachtsfestes in Poznan (POL), für uns nochmal ganz besonders waren, ist die Freude auf Zuhause stärker als der Wehmut über das baldige Ende der Radreise – allerspätestens seit dem Augenblick, als wir nach drei (Eva und Joern) bzw. zwölf (Kathrin und Klaus) Monaten unsere Freundinnen wiedersehen. Sie waren aus Münster mit dem Zug nach Berlin gereist. Wir mit dem Rad ab Warschau nach Berlin geradelt.Das wir erst ab Warschau wieder auf’s Rad gestiegen sind, und nicht wir ursprünglich geplant schon ab Moskau, war auch dahingehend die richtige Entscheidung, als dass wir am Tag unserer Zugfahrt von Moskau nach Warschau nicht haetten radeln koennen oder wollen – denn das Thermometer zeigte minus 27 Grad an…

Minusgrade und Nasenhaare

Auch für die Region rund um Moskau – damit auch für Rjasan, das 200 km südöstlich von Moskau liegt, und das wir 6 Tage besuchen (11. – 16.12) – sind solche Temperaturen im Dezember außergewöhnlich niedrig. Keiner von uns beiden hatte schon einmal so eine Kälte erlebt. Nur ein Beispiel: Bei solchen Temperaturen gefrieren die Nasenhaare schnell zu festen Borsten, die dann in der Nase kitzeln…

Münster und Rjasan

Für uns sind die  Tage in Rjasan sehr kurzweilig. Parallel zu unserem Aufenthalt besucht anlässlich der 20 jährigen Städtepartnerschaft eine offizielle münsteraner Delegation unter Leitung der Bürgermeisterin Frau Vilhjalmsson Rjasan. Bei verschiedenen Programmpunkten, wie den Besuch einer rjasaner Schule, der Besichtigung einer Schuhfabrik oder der Teilnahme am offiziellen Festakt,  können wir die fünf Münsteraner begleiten. Daneben nehmen wir mehrmals an Germanistik Vorlesungen der Universität teil, um z.B. von der Radreise zu berichten…

Sprache und Gastfreundschaft

Oder wir treffen uns mit Frau Ossetrowa. Zu ihr hatten wir schon vor dem Start der Radreise Kontakt aufgenommen. Olga Ossetrowa ist die Leiterin des Sozialen Fonds, einem Zentrum in Rjasan, das u.a. durch Spendengelder aus Münster ambulante Pflege für Kranke oder Förderstunden für Kinder anbieten kann (www.foerderverein-muenster-rjasan.de). Olga hat sich – neben vielen anderen Dingen -  auch um unsere Übernachtungsmöglichkeit bei Tanja und Andrej gekümmert. Und da neben Olga auch Tanja und Andrej Deutsch sprechen, und wir das mit den Münsteranern und ebenso mit den Germanistik Studenten sowieso tun,  haben wir zusammen mit all der Gastfreundschaft die uns überall entgegengebracht wird, fast das Gefühl, wir wären schon wieder zuhause – nur eben, dass mit minus 27 Grad die Temperaturen noch nicht ganz so sind wie zuhause…

Radreise und Weihnachten

Mehrmals werden wir bei unserem Besuch in Rjasan gefragt, wo wir Weihnachten feiern werden. Es ist gar nicht so einfach die Frage klar zu beantworten. Aufgrund unserer Streckenplanung wissen wir zwar, dass wir Heilig Abend irgendwo in der Gegend um Poznan (POL) sind. Da wir jedoch niemanden in der Gegend kennen, wissen wir auch nicht, wie wir Weihnachten feiern werden. Zwar hatten wir gehofft, dass sich in Poznan vielleicht noch irgendetwas ergeben würde, uns ehrlich gesagt aber schon mit einem Hl. Abend in einem Hotelzimmer abgefunden.  Das unsere Weihnachtsgeschichte  schon in Rjasan anfängt, damit hätten wir nicht gerechnet. Denn als Frau Mirwa, eine der Delegationsteilnehmerinnen aus Münster, von unserem “Problem” erfährt, verspricht sie uns noch in Rjasan einen Hl. Abend für uns in Poznan zu organisieren…

Akkuschrauber und Zigaretten

Bereits vor unserem Besuch von Rjasan hatten wir uns um die Zugfahrkarten von Moskau nach Warschau gekümmert. Am  selben Tag, an dem die Münsteraner von Moskau aus zurückfliegen, fahren wir mit dem Zug vom so genannten Kiewer Bahnhof  von Moskau mit Umstieg in Kiew nach Warschau (16. – 18.12). Wir überfahren mit dem Zug also die Grenze von Russland zur Ukraine und von der Ukraine nach Polen, die gleichzeitig die EU – Außengrenze ist. Wahrscheinlich wird aus diesem Grund der halbe Zug von polnischen Zollbeamten mit Akkuschraubern bewaffnet auseinandergenommen – zum Vorschein kommen unzählige Stangen Zigaretten, die natürlich niemandem gehören…

Drehgestell und Umspurung

Bereits vor den Kontrollen der Grenzbeamten wurde unser Zug, in dem wir mit den Fahrrädern in einem kleinen dreier Abteil reisen, und wo wir die Räder gerade so eben verstauen können, “umgespurt”. Denn der Abstand zwischen den Schienenstränge – die Spurweite – unterscheidet sich zwischen den Ländern der GUS Staaten von denen in Europa. Einfach ausgedrückt: die Achsbreite des russischen Waggons ist zu groß für das Schienenbett in Europa. Ungefähr eineinhalb Stunden dauert die Umspurrung des gesamten Zuges. Jeder einzelne Waggon bzw. der Wagenkasten des Waggons wird angehoben um so den Austausch des Drehgestells, wie die Eisenbahner die Achsen nennen, durchführen zu können…

Fahrrad und Gepäck

Um 01.oo morgens erreichen wir den Hauptbahnhof von Warschau (18.12). Direkt am überdachten Gleis, schrauben wir die Fahrräder zusammen. Das dauert zwar seine Zeit – gegen 04.00 liegen wir in den Betten des Hostels – hat aber den Vorteil, dass wir unser Gepäck nicht bis zum ca. 2 km entfernten Hostel tragen müssen. Das hätte auch nicht wirklich Spass gemacht, denn zum einen wiegen Rad und Gepäck ca. 50 kg, und zum anderen ist alles so sperrig und unhandlich zu tragen, dass wir alle 50 m eine Pause einlegen müssten. Mehrmals hatten wir während unserer Rückreise ab Wladiwostok unser Gepäck und die Räder tragen müssen – und wenn uns jemand fragen würde, was das anstrengenste auf der Radreise war, dann würden wir wohl anworten: Das Tragen von Rad und Gepäck…

Warschau und Altstadt

Für uns beide ist es der erste Besuch in Warschau (18. – 20.12). Wir erkunden die schöne Altstadt, die nach der Zerstörung im zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut worden ist. Heute zählt sie zum UNESCO Weltkulturerbe. Wir besuchen das Museum des Warschauer Aufstandes, das an den größte Wiederstand gegen das Naziregiem in von Deutschland besetzten Gebieten während des zweiten Weltkrieges erinnert. Fast 200.000 polnische Soldaten und Zivilisten kamen bei dem 63 Tage dauernden Aufstand ums Leben. Als Repressalie wurden große Teile Warschaus planmäßig gesprengt und die überlebende Bevölkerung deportiert…

Weihnachten und Hotelzimmer

Bevor wir uns bei Minustemperaturen wieder auf’s Rad in Richtung Berlin schwingen, erhalten wir von Frau Mirwa die Nachricht, dass wir Weihnachten im Dominikaner – Kloster in Poznan willkommen sind, und dort zusammen mit den Mönchen die Weihnachtstage verbringen können. Was für eine gute Nachricht. Und damit zum Glück kein Weihnachten im Hotelzimmer!

Weiterfahrt und Mantelriss

Die Nebenstrassen sind so stark schneebedeckt, dass wir auf ihnen nicht fahren können. Widerwillig entscheiden wir uns für die Hauptstraßen, die in etwa den Bundesstraßen in Deutschland entsprechen – nur in der Regel ohne separaten Radweg. Für uns völlig ungewohnt haben wir nach ca. 10 km das erste technische Problem – Jörn hat einen Platten. Und nicht nur das,  der Mantel ist gerissen. Ersatzmäntel haben wir nicht mehr. Jeder von uns hat nach ungefähr 6000 km seine Mäntel wechseln müssen. Hierfür hatten wir jeder zwei Ersatz-Faltmäntel dabei. Was nun…

26 x 2.0 und Hot Dog

Wieder einmal haben wir Glück. Keine 500 m von uns entfernt ist ein grosser Supermarkt – und manchmal führen die in ihrem Sortiment auch Fahrradzubehör. Während Jörn also vor dem Eingang des Supermarktes das Hinterrad ausbaut, schaut Klaus im Supermarkt, ob es vielleicht einen passenden Fahrradmantel mit den Maßen “26 x 2.0″ zu kaufen gibt. Der Supermarkt hat nur einen Mantel im Angebot – seine Maße: 26 x 2.0…Und während wir den Mantel auf die Felge ziehen, spricht uns ein Pole mit den Worten “Merry Christmas!” an und schenkt jedem von uns einen Hot Dog! Und bevor wir uns wirklich bedanken können ist der junge Mann auch schon wieder weg…

Schneematsch und Streusalz

Trotz all der glücklichen Umstände macht die Weiterfahrt nicht wirklich Spass. Es ist, wie man es kennt:  Durch das Streusalz ist der Schnee auf den Strassen geschmolzen und der Schneematsch hängt überall am Fahrrad.  Fette LKW fahren dicht an uns vorbei. Durch deren Spritzwasser ist unsere Kleidung total verschmutzt und voller Streusalzablagerungen. Immer wieder schneit es kurzzeitig recht heftig – natürlich kommt der Schnee dann auch noch von vorne. Zudem ist heute der kürzeste Tag des Jahres. So ist es schon stockdunkel als wir unsere Unterkunft, eine LKW Raste, erreichen. Wir sind total fertig. Anscheinend müssen wir uns wieder einmal an das Radfahren gewöhnen. Da sind wir froh, dass Poznan nur drei Tagesfahrten entfernt liegt…

Poznan und Lubon

Zwar kommen wir ohne Probleme nach Poznan (23.12), aber zum Kloster dann doch nicht ganz so einfach: Knappe 10 km vor der Kosciuszki 99, die Strasse, in der das Kloster liegt, hat auch Klaus einen Mantelriss. Wieder haben wir keinen Ersatzmantel dabei. Und diesmal ist kein Supermarkt in der Nähe. Wir schieben zur nächsten Tankstelle und telefonieren erstmal mit Frau Mirwa, damit sie die Mönche von unserer verspäteten Ankunft informieren kann. Da sie aber auch fließend polnisch spricht geben wir den Hörer mit den Worten: “It ’s for you” (“Es ist für Dich”) an einen jungen Mann weiter, der zufällig neben dem Kaffee-Automaten steht. Nachdem er aufgelegt hat, kümmert er sich um alles weitere. Ein paar Sekunden später haben wir zur Orientierung einen Stadtplan, sodass Jörn mit dem Rad weiterfahren kann. Und Klaus sitzt im Taxi auf dem Weg zum Kloster, Gepäck und Rad im Kofferraum verstaut. Scheinbar alles gut… Nur leider fahren wir zur falschen Kosciuszki 99. Denn zum einen gibt es diese Straße in der Innenstadt von Poznan und zum anderen in der direkt an Poznan angrenzenden Ortschaft Lubon, die durch ihre Nähe zur Stadt für uns eben wie ein Stadtteil von Poznan aussieht. Ne Stunde später ist dann aber wirklich alles gut…

Dominikaner-Kloster und Einzelzimmer

Im Kloster werden wir von Pater Jozef begrüßt. Er hat zuvor 20 Jahre im polnischen Kloster der Dominikaner in München gelebt und spricht daher fließend deutsch. Und als er uns unsere Zimmer im Gästehaus zeigt, ist das schon unser erstes Weihnachtsgeschenk: Einzelzimmer! Denn seit unserem Start im März 2009 hat jeder von uns bisher nur einmal alleine übernachtet. Das war mitten in der Steppe von Kasachstan, als wir von Mitarbeitern einer Ölbohrfirma zur Übernachtung auf dem Betriebsgelände eingeladen worden sind und ebenfalls Einzelzimmer hatten…

Tannebaum und Weihnachtsstimmung

Der Prior des Kloster, Pater Jakub, empfängt uns, als wir zusammen mit Pater Jozef im Refektorium, dem Speiseraum, zu Abend essen, mit den für Polen typischen Worten der Gastfreundschaft: “Gast im Haus – Gott im Haus”. Und als wir im Anschluss an das Abendbrot noch beim Schmücken des Tannenbaumes mithelfen können, kommt auch für uns das erste Mal Weihnachtsstimmung auf…

Hl. Abend und Weihnachtswünsche

Den Hl. Abend verbringen wir zusammen mit den 21 Mönchen im Refektorium. Nach einer kurzen Ansprache des Priors und dem gemeinsamen Beten des Vaterunsers, werden Weihnachtswünsche ausgetauscht. Auch das hat in Polen eine lange Tradition: Jeder bekommt eine große Oblate. Bevor der Weihnachtswunsch mit anschließender Umarmung ausgetauscht wird, bricht man sich gegenseitig ein Stück aus der Oblate des anderen heraus und ißt es.

Weihnachtsessen und Pasterka

Etwas später serviert der Prior zusammen mit anderen Mönchen das Weihnachtsessen. Neben der typischen roten Beete Suppe mit Maultaschen gibt es eingelegten Fisch, Sauerkraut mit Pilzen, warm angemachte Karotten, gebratenen Fisch und zum Nachtisch eine Mohn-Süßspeise. Und um letzte Vorbereitungen für die ab Mitternacht in der Klosterkirche gefeierte Pasterka, wie die Christmette in Polen genannt wird, zu treffen, endet das Essen frühzeitig. Doch egal, denn für uns war es ein schöner und besonderer Hl. Abend, der mit dem Besuch der Pasterka seinen Abschluss findet…

Weiterfahrt und Wiedersehen

Bereits am 1. Weihnachtstag (25.12) fahren wir gegen Mittag weiter. Mittlerweile hat Tauwetter eingesetzt. Die Straßen sind naß. Es regnet immer mal wieder. Das ganze bei ungefähr plus 2 Grad. Kein tolles Radfahrwetter. Wir kommen dennoch gut voran. Denn bei einer Pause kühlen wir nur aus und frieren. Dann geht alles gefühlt doch sehr schnell. Zwei Tage später erreichen wir die Grenze zwischen Polen und Deutschland. In Kostrzyn nad Odra fahren wir an den leeren Grenzgebäuden vorbei über die Oderbrücke und sind ruck-zuck zurück in Deutschland. Bis Berlin sind es jetzt nur noch 80 km. Und so sind wir vier Tage vor Sylvester am Berliner Hauptbahnhof und sehen endlich unsere Freundinnen wieder…

Reisestatistik

13.12 Aufenthalt in Rjasan

14.12 Aufenthalt in Rjasan

15.12 Aufenthalt in Rjasan

16.12 Autofahrt von Rjasan nach Moskau / Abfahrt Moskau mit dem Zug

17.12 Zugfahrt Moskau – Kiew – Warschau

18.12 Ankunft Warschau mit dem Zug

19.12 Aufenthalt in Warschau

20.12 Aufenthalt in Warschau

21.12 Warschau – Lowicz: 88 km

22.12 Lowicz – Konin: 133 km

23.12 Konin – Poznan: 105 km

24.12 Hl. Abend

25.12 Poznan – Pniewy: 48 km

26.12 Pniewy – Slonsk: 113 km

27.12 Slonsk – Vogelsberg: 109 km

28.12 Vogelsberg – Berlin: 30 km

29.12.09 – 05.01.10 Aufenthalt in Berlin

06.01 Weiterfahrt in Richtung Münster

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Artikel vom 05. Januar 2010 | Joern | Nachricht an Joern schreiben